Streit um SPD-Kandidatin sprengt Bundestagsabstimmung
Die geplante Neubesetzung von drei Richterposten am Bundesverfassungsgericht ist an politischen Grabenkämpfen gescheitert. Trotz monatelanger Vorbereitung wurde die Abstimmung kurzfristig abgesagt – auf Initiative von Union und SPD, nachdem klar wurde, dass eine parteiübergreifende Mehrheit nicht zustande kommen würde.
Liberale Haltung zur Abtreibung als Auslöser
Im Zentrum des Konflikts steht Frauke Brosius-Gersdorf, eine renommierte Juristin, die insbesondere durch ihre Haltung zum Schwangerschaftsabbruch ins Visier konservativer Kritiker geriet. Sie vertritt die Auffassung, dass Abbrüche in den ersten zwölf Wochen straffrei sein sollten – ein Standpunkt, der in kirchennahen und rechten Kreisen auf massive Ablehnung stößt.
Laut Dirk Wiese habe sich daraus eine „gezielte Kampagne“ gegen die Kandidatin entwickelt, unterstützt durch rechte Medienplattformen und sogenannte Lebensschützer.
CDU-internes Zerwürfnis verhindert Kompromiss
Rund 60 Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion hatten laut Medienberichten im Vorfeld signalisiert, der Nominierung Brosius-Gersdorfs nicht zuzustimmen. Dies hätte zur Folge gehabt, dass der CDU-Kandidat Günter Spinner möglicherweise nur mit Stimmen der AfD gewählt worden wäre – ein politisches Risiko, das vermieden werden sollte.
Die SPD wiederum kündigte an, in diesem Fall Spinner nicht zu unterstützen, was den Stillstand besiegelte. „Die Unionsführung hat die eigenen Reihen nicht geschlossen“, kommentierte Wiese im Plenum.
Rolle der AfD im Hintergrund
Die AfD sieht in der geplatzten Wahl ein politisches Signal. „Die SPD will mit 13 Prozent zwei Richter durchbringen – das geht nicht“, so Beatrix von Storch. Auch Alice Weidel kritisierte die SPD-Kandidatin scharf und sprach von einem Versuch, „hinter verschlossenen Türen Richterposten zu besetzen“.
Juristische Vorwürfe als Nebenschauplatz
Zwar wurden Plagiatsvorwürfe laut, die auf vermeintliche Überschneidungen in Brosius-Gersdorfs Dissertation hinwiesen, doch betonen mehrere Experten, dass diese inhaltlich nicht haltbar seien. Die Universität Hamburg sah keinen Anlass zur Überprüfung. Die betroffene Arbeit war bereits 1997 erschienen, während die zitierte Habilitation ihres Ehemanns drei Jahre später veröffentlicht wurde.
Kritik an der politischen Instrumentalisierung
Der Deutsche Anwaltverein äußerte sich deutlich zur aktuellen Entwicklung. Ulrich Karpenstein, Vizepräsident des DAV, sagte: „Wenn wissenschaftlich vertretbare Positionen aus dem Zusammenhang gerissen werden, leidet das Ansehen des Gerichts insgesamt.“
Auch aus den Reihen der Linken kam scharfe Kritik. Fraktionschefin Heidi Reichinnek sprach von einer „unwürdigen Kampagne“ und warf der Union eine „stillschweigende Koalition mit der AfD“ vor.
Wahl auf Herbst vertagt
Die Richterwahl wird nun nach der Sommerpause erneut aufgerufen. Eine Sondersitzung in den kommenden Wochen erscheint unwahrscheinlich. Sollte bis Ende August keine Lösung gefunden werden, könnte gemäß dem Verfassungsgerichtsgesetz auch der Bundesrat eingreifen. Dieser hat das Recht, bei ausbleibender Entscheidung eine eigene Wahl durchzuführen.
Vertrauen in Institutionen gefährdet
SPD-Chef Lars Klingbeil warnte in seiner Rede vor langfristigen Schäden: „Das Bundesverfassungsgericht lebt vom Vertrauen in seine Unabhängigkeit.“ Er mahnte, politische Kompromisse seien unerlässlich, um diese Institution nicht parteipolitischem Kalkül zu opfern.
Auch Britta Haßelmann von den Grünen wies auf die gesamtgesellschaftliche Dimension hin: „Das war ein schwarzer Tag für die politische Kultur in unserem Land.“