Die weltweite Verschuldung der Staaten steuert auf ein historisches Hoch zu. Laut einem neuen Bericht des Internationalen Währungsfonds (IWF) wird die Summe der öffentlichen Schulden bis 2029 erstmals die Grenze von 100 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung überschreiten – ein Niveau, das es seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr gegeben hat. Der IWF warnt: Die Welt stehe am Rand einer neuen Schuldenkrise, ausgelöst durch jahrelanges Staatsdefizit, steigende Zinsen und explodierende Sozialausgaben.
„In diesem Szenario würde die globale Verschuldung auf den höchsten Stand seit 1948 steigen“, heißt es in dem am Mittwoch in Washington veröffentlichten Bericht. Die Warnung ist deutlich: Ohne Kurswechsel könnten viele Volkswirtschaften in eine finanzielle Abwärtsspirale geraten, die ganze Regionen destabilisiert.
Explosion der Staatsschulden in Industrieländern
Die größten Risiken liegen ausgerechnet in den führenden Industrienationen. Länder wie die USA, Japan, China, Frankreich, Italien, Großbritannien und Kanada treiben die globale Schuldenquote massiv nach oben.
In den USA liegt das Haushaltsdefizit aktuell bei 6,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) – doppelt so hoch wie noch vor zehn Jahren. Die Gesamtverschuldung der Vereinigten Staaten nähert sich der Marke von 35 Billionen US-Dollar, während die Zinskosten des Staates jährlich mehr als 1 Billion US-Dollar betragen.
Noch dramatischer ist die Lage in Japan: Mit einer Schuldenquote von über 260 Prozent des BIP ist das Land der am stärksten verschuldete Staat der Welt. Trotz jahrzehntelanger Niedrigzinsen lasten die Verbindlichkeiten wie eine bleierne Decke auf der Wirtschaft.
Auch in Europa ist die Lage angespannt. In Italien liegt die Schuldenquote bei rund 145 Prozent, in Frankreich bei über 110 Prozent. Die EU-Vorgabe, wonach die Verschuldung 60 Prozent des BIP nicht übersteigen sollte, ist längst zur Makulatur geworden.
Schwellenländer kämpfen mit drohendem Zahlungsausfall
Während die Industriestaaten unter der Last hoher Zinsen ächzen, droht in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern ein noch gefährlicheres Szenario: Staatsbankrott. Der IWF identifiziert 55 Länder, die ihre Schulden kaum noch bedienen können oder kurz vor dem Zahlungsausfall stehen.
Viele dieser Staaten haben eine vergleichsweise moderate Schuldenquote – oft unter 60 Prozent des BIP –, aber der rapide Zinsanstieg hat ihre Haushalte aus dem Gleichgewicht gebracht. Afrika und Südamerika gelten als besonders gefährdete Regionen, in denen sich internationale Kreditgeber zunehmend zurückziehen.
Ein IWF-Experte formulierte es drastisch: „Die Weltwirtschaft befindet sich in einem Schuldenstrudel. Viele Länder zahlen inzwischen mehr Zinsen als sie in Bildung oder Gesundheit investieren.“
Strukturelle Ursachen statt Krisenausnahmen
Der Bericht des IWF macht klar, dass die aktuelle Schuldenwelle nicht mehr nur Folge der Pandemiehilfen oder Energiekrisen ist. Vielmehr hat sich die Verschuldung zu einem strukturellen Problem entwickelt.
In vielen Staaten wachsen die Sozial- und Rentenausgaben deutlich schneller als die Wirtschaftsleistung. Hinzu kommen steigende Militärausgaben infolge geopolitischer Spannungen – etwa im Konflikt zwischen den USA und China sowie im Ukrainekrieg.
Zugleich sinkt die Produktivität in vielen Industrienationen, während die Zinswende in den USA und Europa die Refinanzierung bestehender Schulden massiv verteuert. Der IWF warnt, dass sich diese Kombination aus langsamen Wachstum und hohen Kosten zu einem gefährlichen „Teufelskreis aus Schulden und Stagnation“ entwickeln könnte.
IWF fordert globale Disziplin und harte Einschnitte
Um den Trend zu stoppen, fordert der IWF ein Umdenken in der globalen Haushaltspolitik. Regierungen müssten ihre Ausgaben priorisieren, ineffiziente Subventionen abbauen und zugleich Steuereinnahmen besser ausschöpfen.
„Die Schulden steigen schneller als die Wirtschaft – das ist ein Alarmsignal, das niemand ignorieren darf“, mahnte die Chefökonomin des IWF in Washington.
Der Fonds empfiehlt eine Kombination aus Konsolidierung und Zukunftsinvestitionen: Einerseits müsse der Schuldenstand gesenkt werden, andererseits seien Investitionen in Bildung, Digitalisierung und Klimaschutz entscheidend, um langfristiges Wachstum zu sichern.
Zukunftsszenario: Wenn der Zins den Staat erdrückt
Sollten die Zinssätze auf dem aktuellen Niveau bleiben, könnten laut IWF viele Länder in den nächsten Jahren mehr als 20 Prozent ihrer Staatseinnahmen allein für Schuldendienste aufwenden. Damit würde jeder fünfte Steuerdollar in den Schuldendienst fließen – Geld, das für Infrastruktur, Forschung oder soziale Programme fehlt.
Besonders die USA stehen dabei unter Druck: Der IWF prognostiziert, dass die jährlichen Zinszahlungen bis 2028 den gesamten Verteidigungshaushalt übersteigen könnten.
Auch in Europa droht ein Dominoeffekt. Steigende Finanzierungskosten könnten die Eurozone erneut in Turbulenzen stürzen – ähnlich wie während der Schuldenkrise 2010, als Griechenland, Portugal und Spanien vor der Zahlungsunfähigkeit standen.
Viele Experten warnen, dass ein erneuter Anstieg der Zinsen um nur einen Prozentpunkt die globale Schuldenlast um rund zwei Billionen US-Dollar erhöhen könnte.
Eine Welt auf Kredit – und am Limit der Tragfähigkeit
Noch nie war die Welt so abhängig von billigem Geld – und noch nie war die Rückkehr zur finanziellen Vernunft so schwierig. Der IWF warnt, dass die globale Wirtschaft an einem Wendepunkt steht: Entweder gelingt eine kontrollierte Schuldenbremse, oder das Vertrauen in die Staatsfinanzen vieler Länder erodiert.Wenn bis 2029 tatsächlich die Marke von 100 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung überschritten wird, wäre das nicht nur ein symbolischer Wert – es wäre der Beweis dafür, dass die Welt in einer Ära lebt, in der Schulden zur neuen Normalität geworden sind.